Zu Besuch im Maison Jean Prouvé
Zur Art Basel / Miami Beach 2022 präsentierte Vitra eine kleine Edition des Kangaroo Chair von Jean Prouvé. Die 150 Exemplare waren innerhalb von 60 Minuten ausverkauft und erfreuen nun Sammler und Designfans, ein hoher Wertzuwachs ist bei der Edition fast garantiert. Der Entwurf des französischen Konstrukteurs entstand im Jahr 1948, originale Sessel aus der Zeit werden heute in Kunst- und Designauktionen mit ca. EURO 150.000 gehandelt. Die neue Vitra Edition präsentierte sich ganz in Blau – das Gestell ist in dem Farbton Prouvé Bleu Marcoule, welches der französische Designer in den 1950er Jahren exklusiv für ein Energieunternehmen entwarf.
Vor zwei Wochen konnten wir auf dem Vitra Campus nun die Edition erstmals persönlich in Augenschein nehmen (unser Exemplar ist gestern eingetroffen) und gleichzeitig den dortigen neuen Place Jean Prouvé bewundern. Dieser Platz ist dem französischen Konstrukteur gewidmet und besteht aus einer von ihm entworfenen Schaukel sowie verschiedenen Outdoormöbeln, die allerdings aktuell nicht kommerziell erhältlich sind. Das anschließende Highlight war der Besuch der persönlichen Prouvé Sammlung des ehemaligen Vitra CEOs Rolf Fehlbaum, die gleichzeitig eine der größten Prouvé Sammlungen weltweit ist und Möbel enthält, die selbst uns noch unbekannt waren. Serge Mauduit, der Kurator des Vitra Design Museums, führte uns dpersönlich durch die Sammlung, wir wären sehr gerne länger geblieben, um seinen Ausführungen zu lauschen. Aber es wartete schon der Bus nach Nancy....
Die Stadt Nancy ist vor allem durch ihre Spätbarock- und Jugendstilarchitektur bekannt, eine bekannte Attraktion ist der heute zum Weltkulturerbe zählende Platz Place Stanislas aus dem 18. Jahrhundert. An diesem Platz fing auch direkt unsere Führung an, denn Jean Prouvé war in jungen Jahren an der Restaurierung der dortigen vergoldeten, schmiedeeisernen Tore beteiligt. Als ausgebildeter Kunstschmied lernte er unter anderem hier den Werkstoff Metall kennen, der seinen künstlerischen Werdegang mitbestimmen sollte. An dem Place Stanislas liegt auch das Musée des Beaux-Arts de Nancy, welches ebenso eine eindrucksvolle Prouvé Sammlung besitzt, inklusive einer Rekonstruktion des Studentenzimmers der Universität Nancy aus den 1930er Jahren. Ein weiterer Schwerpunkt des Museums ist natürlich der französische Jugendstil Art Nouveau, der neben Paris in Nancy seinen Schwerpunkt hatte. Die sogenannte École de Nancy unter Émile Gallé setzte zur Jahrhundertwende Maßstäbe für den Jugendstil. Ein weiterer wichtiger Vertreter dieser Kunstrichtung wurde Victor Prouvé, der Vater von Jean Prouvé. Sieht man sich seine Jugendstilarbeiten an, wird auch direkt klar, warum der Sohn später auf jegliche Ornamentik verzichtete und bei sich seinen Entwürfen im Stil der Moderne von Techniken aus der Automobil- und Flugzeugindustrie inspirieren ließ.
Die Brasserie Excelsior in Nancy: Auf den Spuren von Jean und Victor Prouvé...
Ein Muss in Nancy ist der Besuch der Brasserie Excelsior. Die 1911 entstandene Brasserie ist ein Juwel des Art Nouveau und verfügt noch heute über origniale Kronleuchter der Glasmanufaktur Daum oder verschiedene Möbel von Louis Majorelle, abgerundet wird das Interior durch Originalplakate von Victor Prouvé. Der Vorraum selbst wurde von Jean Prouvé im Stil des Art Déco entworfen, von ihm stammt die große Stehleuchte und das Treppengeländer rechts im Bild....
Am nächsten Morgen ging es dann zum Maison Jean Prouvé, dass der Autodidakt im Jahr 1954 in einer Art Fertigbauweise für sich und seine Familie als Wohnsitz entwarf. Hintergrund ist, dass Prouvé nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Frankreich wegen der Wohnungsnot zahlreiche Fertighäuser entwarf, die preiswert sein sollten und gleichzeitig schnell und einfach montiert werden sollten. Um die 2.000 Häuser dieser sogenannten „Demountable Houses” wurden damals in verschiedenen Größen gebaut, allerdings haben sich heute nur wenige Exemplare erhalten. Bei der Architektur nutzte Prouvé wieder sein Konstruktionsprinzip des Stahlblechs und Aluminiums für die tragenden Stützen, welche sich nach unten verjüngen. Die äußeren Hauswände sind dabei aus Fertigbauelementen aus Holz oder Aluminium, welche er in seiner eigenen Fabrik produzieren ließ. Diese Architekturelemente nutzte er später für sein Haus in einer steilen Hanglage mit einem wunderschönen Blick über Nancy.
Versteckt in der Hanglage: das Maison Jean Prouvé
Verwaltet wird die heute von einer Familie bewohnte Architekturperle von dem Musée des Beaux-Arts de Nancy, sie kann nach Vereinbarung Samstags Nachmittags besichtigt werden. Allerdings muss man anmerken. dass das Haus sich leider in einem schlechten Zustand befindet und dringend renoviert werden müsste. Denn im Vergleich zu seinen Demountable Houses, die heute an Plätzen wie vor dem Louvre in Paris oder unter der Brooklyn Bridge in New York von Galerien präsentiert werden, ist der Gesamteindruck des Haues erschreckend. Ein Juwel ist hingegen ein kleines Demountable House, welches sich auf dem Grundstück weiter unten befindet und in den späten 1950er Jahren errichtet wurde.