Jubiläum eines Spätwerks: Der Steltman Chair von Gerrit Rietveld wird 60 Jahre
Als der Juwelier und Hoflieferant Steltman mit Sitz in Den Haag im Jahr 1963 Gerrit Rietveld beauftragte, den Verkaufsraum des Juweliergeschäfts neu einzurichten, war Rietveld bereits 75 Jahre alt. Der Architekt und Designer, der ab 1918 einer der Protagonisten der Gruppe De Stijl war, blieb den Gestaltungsgrundsätzen dieser Strömung bis zuletzt treu und entwarf als Bestandteil der neuen Ladeneinrichtung einen asymmetrischen Stuhl, der mit seinen geraden Kanten und rechten Winkeln ein komplexes und ausgewogenes Linienspiel schafft, das aus jeder Perspektive ein vollkommen neues Bild bietet.
Entwurfszeichnung von Gerrit Rietvelt
Der Steltmann Stuhl setzt sich aus acht Brettern und Leisten zusammen, wobei kein Teil den Maßen eines Anderen entspricht. Allen Teilen gemein ist jedoch eine kubische Form, die von geraden Kanten und rechten Winkeln klar begrenzt ist – raffinierte Profile oder organische Kurven sucht man hier vergebens. Die einzelnen Komponenten sind scheinbar auf Stoß zusammengefügt. Zwar verstärken Zapfen die Verbindungen und verleihen dem Stuhl die nötige Robustheit, doch sind sie im montierten Zustand nicht ablesbar, so dass sich ein additiver Gesamteindruck ergibt. Mit der konsequenten Vermeidung von Gleichmaß und Symmetrie, folgt Gerrit Rietveld den Jahrzehnte zuvor aufgestellten Gestaltungsregeln, die die Gruppe De Stijl ursprünglich für Gemälde und Skulpturen postuliert hatte und die er selbst – etwa für den bekannten Red and Blue Chair – in die Welt des Möbeldesigns übertragen hatte. Die Herausforderung für den Künstler – man denke etwa an die Kompositionen Piet Mondrians – liegt darin, auch ohne diese traditionellen Gestaltungsmittel ein harmonisch ausgewogenes Gesamtbild zu schaffen.
Eine quadratische Sitzfläche umgebend, bilden die weiteren Bauteile drei Beine, von denen eines einen im rechten Winkel angefügten Fortsatz aufweist, der auf dem Boden aufliegt. Zwei der drei Beine berühren die Sitzfläche nicht genau an einer Ecke, sondern im Randbereich einer Seite. Diese Beine setzen sich oberhalb der Sitzfläche fort und nehmen dort die Rückenlehne und eine einzige Armlehne auf. Eine weitere Leiste fügt sich seitlich an die Sitzfläche.
Der asymmetrische Entwurf mit einseitiger Armlehne ist in zwei Varianten erhältlich, die einander spiegelbildlich entsprechen. Das Konzept der zwei gleichen und doch verschiedenen Stühle, die einander ergänzen, ist im Kontext des Juweliergeschäfts symbolisch zu verstehen: auf den dortigen Stühlen nehmen Brautpaare zur Auswahl der Trauringe Platz. Zudem können die beiden spiegelbildlichen Stühle in zwei verschiedenen Konfigurationen aufgestellt werden: mit den Armlehnen innen, also voneinander abgewandt, oder mit den Armlehnen außen, also einander zugewandt.
Während die beiden für den Juwelier Steltman hergestellten Stühle gepolstert und mit weißem Kunstleder bezogen wurden, ist der Steltman Chair inzwischen bekannter in einer Variante aus ungepolstertem Eichenholz. Diese ist naturfarben klarlackiert, sowie in schwarz und weiß erhältlich. Spectrum bietet aber weiterhin auch gepolsterte Ausführungen mit einer großen Auswahl an Bezugsmaterialien an. Darüber hinaus gibt es den Steltman Chair in einer limitierten Sonderedition von jeweils 50 Exemplaren mit linker beziehungsweise rechter Armlehne. Die Stühle der Sonderedition sind gepolstert und mit Anilinleder wahlweise in Weiß oder in Braungrau bezogen. Sie sind nummeriert und werden mit einem Zertifikat in einer speziellen Präsentationsbox geliefert.
Gerrit Rietveld starb im Jahr 1964 in seiner Heimatstadt Utrecht – einen Tag nach seinem 76. Geburtstag. Während noch Jahre nach seinem Tod architektonische Entwürfe aus seiner Feder fertiggestellt wurden – zuletzt 1973 das gemeinsam mit Joan van Dillen und Johan van Tricht entworfene Van Gogh Museum in Amsterdam – blieb der Steltman Chair Rietvelds letzter Möbelentwurf. Bis heute finden sich zwei Exemplare bei Steltman in Den Haag. Ob es sich dabei jedoch immer noch um die Originale von 1963 handelt, ist unklar.