Der Hocker von Johannes Itten

Im Rahmen unseres 25jährigen Jubiläums haben wir mit Zustimmung der Familie von Johannes Itten ein Möbel des Künstlers neu aufgelegt.Bis letztes Jahr war uns dieser Entwurf unbekannt, erst durch die Ausstellung über den “Ulmer Hocker“ an der hfg Ulm (Hochschule für Gestaltung) 2023, bei der wir selbst auch Leihgeber eines Möbel waren, wurden wir auf den rechteckigen Hocker mit drei Grifflöchern aufmerksam. Der Entwurf entstand ursprünglich 1928 als Multifunktionsmöbel für die Itten-Schule in Berlin und ist in dieser Funktion mit dem Ulmer Hocker von Hans Gugelot und Max Bill aus den 1950er Jahren vergleichbar. Denn beide Hocker dienten den Studenten als Sitzgelegenheit, Tisch und Arbeitsfläche. Ob Hans Gugelot und Max Bill den Entwurf von Itten kannten, der auch selbst kurzzeitig als Gastdozent an der hfg Ulm tätig war, ist Spekulation.

Nach der Ausstellung nahmen wir direkt Kontakt mit der Familie von Johannes Itten auf. Es stellte sich heraus, dass noch drei Hocker existierten, von denen zwei Exemplare aus den 1920er Jahren aus der Itten-Schule stammten und ein dritter Hocker nach dem Zweiten Weltkrieg in der Schweiz gefertigt wurde. Hintergrund war, dass die drei Kinder von Johannes Itten damals jeweils einen Hocker von ihrem Vater erhielten.  Beim Besuch der Tochter von Johannes Itten konnten wir nicht nur alle drei Hocker bewundern, sondern auch weitere Möbelentwürfe des Bauhaus-Meisters, wie einen konstruktivistisch geformten Couchtisch aus der Bauhaus-Zeit oder Korpusmöbel und eine Sitzgruppe aus den 1950er Jahren.  Als Leihgabe konnten wir einen der beiden Hocker aus der Itten-Schule mitnehmen,  der uns als Vorlage für die Neuauflage diente. Bei näherer Begutachtung stellten wir fest, dass der Itten-Hocker sehr aufwendig angefertigt wurde. Im Innern befindet sich eine Konstruktion aus Vierkanthölzern, auf den Furnierplatten aus Birke aufgeleimt wurden, wobei alle Ecken wiederum aus Massivholz bestehen, welche an den Seiten leicht abgerundet sind. Die rechteckige Formgebung des Itten-Hockers erinnert mit dieser Konstruktion gleichzeitig an die sogenannten Cajón-Trommeln aus Süd- und Mittelamerika, die als Musikinstrumente in Europa ab den 1970er Jahren Verwendung fanden.

Itten-Hocker

Das Original: der Itten-Hocker aus dem Besitz der Familie

Parallel begannen wir uns mit der Historie der Itten-Schule zu beschäftigen. Der Lebenslauf von Johannes Itten ist hinlänglich bekannt: 1888 in der Schweiz als Sohn eines Lehrers und Bergbauern geboren, besuchte er ab 1904 das Lehrerseminar in Hofwil im Kanton Bern, wo er die Reformpädagogik kennenlernte. Später studierte er an der Kunstakademie in Genf und wurde ab 1913 Schüler von Adolf Hölzel in Stuttgart, der für ihn ein wichtiger Mentor werden sollte. Denn hier lernte Itten dessen allgemeine Kontrastlehre und Farbenkontrastlehre kennen, die er später zu seiner berühmten Farbtypenlehre weiterentwickelte. 

1919 kam Johannes Itten auf Empfehlung von Alma Mahler, der damaligen Ehefrau von Walter Gropius, als „Lehrender Meister” an das gerade gegründete Bauhaus in Weimar. Alma Mahler war damals eine Wiener Prominenz, die zahlreiche Künstler und Intellektuelle um sich scharte. In ihrem Salon, der selbstverständlich von Künstlern der Wiener Werkstätte ausgestattet war, traf sich die damalige Wiener Gesellschaft, Alma Mahlerhatte Beziehungen zu den Malern Gustav Klimt und Oskar Kokoschka, weitere Ehemänner waren der Dirigent Gustav Mahler und der Dichter Franz Werfel. In diesem spannenden Umfeld lernten sich wohl Gropius und Itten kennen, der bereits seit 2017 in Wien tätig war und dort eine erste Kunstschule gründete.

Johannes Itten folgte mit einem Teil seiner Studenten dem Ruf von Walter Gropius an das Bauhaus und entwickelte dort gemeinsam mit Gertrud Grunow das pädagogische Konzept des Vorkurses, der sich in drei Teile gliederte (Materialstudien/Farb- und Formenlehre, die Analyse anderer Kunstwerke und das Aktzeichnen). Zu Beginn des Unterrichts mussten die Studierenden verschiedene Konzentrations-, Atem- und Rhythmusübungen absolvieren, die sich positiv auf die folgenden künstlerischen Arbeiten, Studien oder Übungen auswirken sollten. Erst nach erfolgreichem Abschluss des Vorkurses durften die Studierenden dann eine der Bauhaus-Werkstätten für ihr weiteres Studium auswählen. Zusätzlich brachte er als Anhänger der sogenannten Mazdaznan-Lehre, einer Bewegung mit christlichen, zarathustrischen und hinduistischen Elementen, esoterisches Gedankengut an das damals noch konstruktivistisch geprägte Bauhaus. Aus dieser Zeit sind auch erste Möbelentwürfe von Johannes Itten bekannt, wie seine konstruktivistische und handbemalte Wiege.

Nach seinem Weggang vom Bauhaus im Jahr 1923 ging Johannes Itten zurück in die Schweiz und gründete dort die „Ontos-Kunstschule“ für Naturstudium, Komposition, Form- und Farblehre und Graphik. Bereits 1926 zog es ihn aber wieder nach Deutschland, wo er in Berlin die Itten-Schule als private Kunstschule gründete. Diese Schule, die 2026 ihr hundertjähriges Jubiläum feiern würde, war eine Weiterentwicklung seiner Arbeit am Bauhaus in Weimar.

Dennoch ist die Itten-Schule heute kaum bekannt, obwohl dort zahlreiche Bauhäusler wie Fred Forbát, Friedrich Köhn, Lucia Moholy-Nagy, Georg Muche, Gyula Pap oder der Fotograf Umbo lehrten. Im Vergleich zur bekannteren Burg Giebichenstein, an der ebenfalls zahlreiche Bauhäusler nach dem Weggang des Bauhaus von Weimar ein neues Zuhause fanden, ist über die Kunstschule in Berlin bisher nur wenig publiziert und geforscht. Interessierten kann nur das Buch die Itten-Schule von Eva Streit (Reimer Verlag) oder das Itten-Werksverzeichnis als Literatur empfohlen werden. Über die Gründe kann nur spekuliert werden, es lag sicherlich auch an der Persönlichkeit von Johannes Itten, der teilweise fast vergöttert wurde, aber auch auf Ablehnung stieß. Bei seiner privaten Kunstschule konnte Itten sein pädagogisches Konzept voll und ganz verwirklichen. Die Ausgabe der Zeitschrift des Deutschen Werkbunds DIE FORM 1930, Heft 6 (siehe oben), beschäftigt sich in einer Art Sonderausgabe nur mit diesem Thema. Das Titelbild der Ausgabe, erstellt von Umbo, zeigt dazu den beidhändigen Zeichnenuntericht in der Itten-Schule. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man in der Mitte des Fotos unter einer japanischen Kalligraphie der Itten-Hocker. Auch die meisten anderen Bilder aus dem Unterricht stammen von dem bedeutenden Fotografen, auf mehreren Fotos ist das Multifunktionsmöbel in Aktion zu sehen.

Itten-Schule Berlin

Johannes Itten auf dem Itten-Hocker, Berlin 1930, Foto UMBO, © Phyllis Umbehr/Galerie Kicken Berlin/VG Bild-Kunst 2024

Die Schule in der Konstanzer Straße 14, 10707 Berlin, existierte insgesamt acht Jahre bis 1934, als sie auf Druck der Nationalsozialisten nach der Machtergreifung geschlossen werden musste. Johannes Itten, der seit 1932 noch parallel die Höhere Fachschule für textile Flächenkunst in Krefeld leitete, ging 1938 nach seiner Entlssung zunächst nach Amsterdam, später dann zurück in die Schweiz. Zwischenzeitlich waren auch seine Werke 1937 als „Entartete Kunst“ aus  deutschen Museen und öffentlichen Sammlungen entfernt worden. Die Itten-Schule und der Itten-Hocker gerieten in Vergessenheit.

 

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